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theresa martinat (b. 1989) lives and works in berlin. she studied fine art at the university of arts in berlin and the cooper union in new york city. in addition to various group exhibitions, solo exhibitions include underground photo gallery (finland) and investitionsbank berlin (germany). in 2013 she was selected for the award of „ibb preis für photographie“ initiated by investitionsbank berlin and karl hofer gesellschaft.


contact: info@theresamartinat.com | Instagram


studio
köpenickerstr. 21
10997 berlin

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installation view, Strausberger Platz

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installation view, carpet, velvet, glaced porcelain

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.9295 BSDB - 6, glaced procelain, 24 x 38 cm

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.45 DBY - 2, glaced porcelain, 22 x 30 cm

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.9295 BMB, glaced porcelain, 20 x 30 cm

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.7590 LBA, glaced porcelain, 23 x 24 cm

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.7590 LBQ - 1, glaced porcelain, 21 x 23

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.9295 BSDB - 6, glaced porcelain, 23 x 28 cm

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.45 DBY - 1, glaced porcelain, 19 x 37 cm

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installation view, 2015, various objects in concrete, 30 x 24 x 11,3 cm

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Schuss durchs Kaleidoskop

Kaleidoscope (2016-17)

Theresa Martinats Arbeit Kaleidoscope entstand als fotografisches Begleitprojekt zu der Plastikenreihe Ancient Cities of the Future, geht jedoch über eine bloß dokumentierende Funktion hinaus. In ihrer durch die Technik des Kaleidoskops vermittelten Form reflektiert die Arbeit die geschichtsphilosophischen Implikationen der gesamten Werkgruppe.

Kaleidoscope besteht aus 73 fotografischen Montagen, die jeweils in einem weißen Passepartout gefasst und in weiß lasiertem Holz gerahmt (33x28cm) sind. Jedes Kompositum setzt sich aus zwei Bildebenen zusammen: einer rautenförmigen Hintergrundebene und einer darüber zentrierten, kreisrunden Vordergrundebene. Das Hauptmotiv der in Berlin, Beirut, Sarajevo und Mostar entstandenen Fotografien bilden Einschusslöcher in Gebäudefassaden, die aus dem Zweiten Weltkrieg (1939-45), dem Libanesischen Bürgerkrieg (1975-90) und dem Bosnienkrieg (1992-95) stammen. In jeder Montage werden zwei Bilder unterschiedlicher geografischer Herkunft gegeneinander gefügt und damit in einer sowohl zeitlichen als auch räumlichen Doppelstruktur kontrastiert.

Dabei ist bereits den jeweiligen Bildebenen eine komplexe Zeitstruktur eingeschrieben: Immer wieder sind neben beinahe eingefallenen Kriegsfassaden die schon teilsanierten oder mit Graffiti übersprühten Fronten der Nachbargebäude zu sehen. Vor einer pockennarbigen Hochhauswand ragt das moderne Flachdach einer Tankstelle, zwischen den Einschusslöchern an einem Mehrfamilienhaus prangt eine Satellitenschüssel. Eingefasst ist diese immanente Spannung der materiellen und doch gespenstischen Präsenz vergangener Kriegszeiten in die stillgestellte Gegenwart des fotografischen Bildes. Diese wird erst in der Montage der zwei Bildebenen wieder aufgebrochen.

Formal wie inhaltlich hält die Arbeit Momente des Umbruchs im Verhältnis zum Versuch einer Ordnung fest. Auf dem Berg Trebević bei Sarajevo wurden genau zur Zeit ihrer Entstehung einige von Einschusslöchern zersetzte Ruinen der Olympiade 1984 abgerissen. Wie die gesamte Werkgruppe interessiert sich Kaleidoscope dabei nicht für eine Musealisierung vergangener Katastrophen, sondern fragt vielmehr nach dem Fortleben von Spuren der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft: ihrem langsamen Verschwinden wie ihrem Überdauern. Obwohl ein großer Teil dieser Spuren durch Restaurationen, Sanierungen und Neubauten bereits aus den Stadtbildern verschwunden ist, führen die Einschusslöcher in den historischen Fassaden ein mitunter verstecktes oder aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein ausgeblendetes Fortleben. Diese zunehmend unsichtbare Präsenz setzt die Arbeit als Zeugnis und Menetekel ins Bild.

Insofern Raum und Zeit in Kaleidoscope zugleich visuell konserviert, als auch gebrochen werden, bildet die namensgebende optische Apparatur des Kaleidoskops das poetologische Prinzip der Arbeit. Der schottische Physiker Sir David Brewster, Wiederentdecker des Kaleidoskops zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hat den von ihm selbst erfundenen Namen aus den griechischen Wörtern „καλός, beautiful; εἴδος, a form; and σκοπεῖν, to see“ – „schöne Formen sehen“ – abgeleitet [1]. Durch die spezifische Anordnung doppelbrechender Kristalle in einer mehrfach spiegelnden Röhre produziert das von Brewster beschriebene Instrument „symmetrical and beautiful pictures“. Die Brechungen der Kristalle werden in der synthetisierten Abgeschlossenheit eines „one perfect whole“ zu schönen Formen re-integriert.

Zwar nimmt Kaleidoscope das Prinzip der Brechungen, Spiegelungen und Rahmungen formal auf, doch werden die Bildebenen der Komposita nicht in Hinblick auf eine Nivellierung ihrer heterogenen, räumlichen und zeitlichen Ursprünge montiert. In ihrem doppelten Framing durch tief abgesetzte Passepartouts und noch tiefere Holzrahmen reflektiert die Arbeit die Mediatisierung sowohl des historischen Blickes als auch des in Konstellation gebrachten Geschichtsmaterials. Ihre Spiegelungen verfahren zudem als Verschiebungen, indem in der multiplen Brechung unterschiedlicher Raum- und Zeitebenen in der Montage kein Eigenbild zurückgegeben, sondern ein bloß verwandtes Bild entgegengehalten wird. In den Brechungen des Kaleidoskops entziehen die geometrisch beschnittenen Bilder sich gegenseitig, während sie in den negativen Spiegelungen gleichzeitig Assoziationen eingehen. So entsteht ein visuelles Fenster, in dem das hier zur Disposition stehende Verhältnis zukünftiger Vergangenheiten eine temporale und räumliche Standortbestimmung in der Gegenwart einfordert.

In diesem Sinne fungiert das Kaleidoskop nicht bloß als poetologisches Prinzip für die Form der Arbeit, sondern zugleich als ihr Modell von Geschichtlichkeit. Geschichtsphilosophisch hat bereits Walter Benjamin das Kaleidoskop in Bezug auf Charles Baudelaire gedeutet: „Der Geschichtsverlauf, wie er sich unter dem Begriffe der Katastrophe darstellt, kann den Denkenden eigentlich nicht mehr in Anspruch nehmen als das Kaleidoskop in der Kinderhand, dem bei jeder Drehung alles Geordnete zu neuer Ordnung zusammenstürzt“[2]. In diesem ‚Sturz‘ zu immer neuen Ordnungen, in der integrativen Kraft der Spiegel des Kaleidoskops, erkennt Benjamin ein Programm der Herrschaft und folgert: „Das Kaleidoskop muß zerschlagen werden.“

Das Kaleidoskop rahmt die Unendlichkeit seiner eigenen Brechungen und re-integriert sie durch Spiegelungen in schöne Bilder. Kaleidoscope löscht diese formale Ordnung nicht aus, verschiebt sie aber durch die negative Spiegelung in der Montage. Die Arbeit steht damit jenseits jeglicher Ästhetisierung historischer Katastrophen oder gar einer romantisierenden Ruinenästhetik. Ihr Motiv der Gewaltspuren schreibt jedem Versuch einer formalen Integration Widerstand ein. Ihre zerschlagende Schönheit gleicht einem Schuss durchs Kaleidoskop.

Jan Lietz

[1] Brewster, Sir David: A Treatise on the Kaleidoscope, Edinburgh 1819, S. 1 Folgende end. und S. 17.

[2] Benjamin, Walter: Zentralpark, in: ders.: GS I, S. 656-690, hier S. 660.

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collage I Jennifer 2011 - 2013 35 mm + screenshots 84 x 119 cm

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collage II i'll skype you in 20 2011-2013 35 mm + screenshots 103 x 55 cm

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horror vacui 2010-2012 144 pages

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let me kiss you in the pouring rain 2010 - 2012 184 pages

Like it never happened

Zwischen 2010 und 2012 entstehen in Kombination aus Texten und Fotografien von Theresa Martinat „Horror Vacui“ (144 Seiten [1]) und „Let me kiss you in the pouring rain“ (184 Seite [2]). Beide Bücher sind Fotobücher ohne erklärende Texte. Fotografien, Exzerpte aus Emails und Nachrichtenfetzen aus Facebook werden zu Collagen verwoben. Die an unterschiedlichen Orten entstandenen Fotografien zeigen entweder Theresa Martinats Freunde oder sie selbst; ebenso sind die Texte entweder von ihr selbst oder Teile eines Dialogs mit Freunden. Was sind diese Bücher? Eigenständiges Kunstwerk, Reisetagebuch oder Fotoalbum durch eine Kombination aus persönlichen Bildern und Texten, die Erinnerung stützen?

Auf einem Bett liegend, aber der Kamera abgewandt fotografierte Theresa Martinat den Rücken einer jungen Frau – das pinke T-Shirt nach oben geschoben wird er nur teilweise vom geschlossenen BH verdeckt wird. Die Haut ist rot von Striemen und Kratzspuren [3]. Die Ausgestelltheit des Rückens und die Intimität des Liegens auf dem Bett entwickeln ein eigenes Spannungsfeld. Einen ebenfalls intimen Moment greift „Couple in bed, Chicago, 1977“ - eine frühe Arbeit der US-amerikanischen Fotografin Nan Goldin (* 1953). Im Vordergrund liegt eine nackte Frau frontal auf einem Bett. Ihr Blick geht an der Bettkante versonnen gen Boden. Links dahinter im Profil auf dem Bett sitzend, den Kopf auf die Hand gestützt und mit entblößtem Oberkörper in Jeans schaut ein Mann ebenfalls versonnen gen Boden. Melancholie und Ruhe dominieren das Bild, das einen Moment des Davor oder Danach einzufangen versucht. Ratlosigkeit und Ruhe bilden eine innere Spannungsebene. Durch den Kamerablitz hat das Bild von Theresa Martinat zwar eine andere Lichtstimmung als bei Goldin, jedoch scheinen beide Bilder etwas gemein zu haben: Die Abgewandtheit bei Martinat und der Blick in die Ferne bei Goldin bezeichnen einen Moment, bei dem die Kamera als Voyeur dabei ist und den intimen Moment in seiner Authentizität gleichzeitig aufnimmt und beschädigt. Der entscheidende Unterschied beider Bilder ist jedoch die An- und Abwesenheit einer zweiten Person. Bei Goldin unterstreicht der Mann im Hintergrund die beziehungshafte Einsamkeit beider, bei Martinat wird die zweite Person durch etwas anders offenbar: In der rechten Bildecke liegt ein Mobiltelefon – die anwesend abwesende zweite Person.

„it was really good to see you“

„it was... but it still feels not real... like it never happend“

(Let me kiss you in the pouring rain, S.20)

Der Dialog zwischen Martinat und ihrer Freundin Jennifer Martin beschreibt die Situation nach einem Treffen, das sich nicht „wirklich angefühlt“ hat – „als wäre es nicht passiert“. Die Loslösung des Dialogs vom Kontext verdeutlicht, worum es Martinat in der Kombination aus Bild und Text geht: Sie ermöglicht eine Reflektion aktueller Kommunikationsformen und dem, was sie aus der so ersehnten wie unmöglichen Unmittelbarkeit von Gefühlen und Beziehungen machen.

Martinat arbeitet zusätzlich mit einer zweiten Ebene von Authentizität: Staub und Fussel auf der Oberfläche der Fotos, ein teilweise sichtbarer Negativrand und andere Bildstörungen machen sichtbar, dass Martinat mit analogen Kleinbildkameras arbeitet. Dieses Retro-Element verdeutlicht die Verzögerung im Arbeitsprozess. Das Negativ muss entwickelt und Abzüge müssen gemacht werden bevor man das Ergebnis sehen kann. Die Kleinbildkamera sorgt für eine Unterbrechung zwischen Situation und Bild – beide kommen nie zusammen, während das bei einer Digitalkamera (sofortige Kontrolle des Bildes) schnell möglich wäre. Die Arbeitsweise unterstreicht, was Intimität und Authentizität ausmacht, bzw. Motor der Arbeit zu sein scheint, - egal ob schnappschussartig, dokumentarisch oder komponiert. Entscheidendes Element aller Fotografien in beiden Büchern sind Unmittelbarkeit und Authentizität - denn Martinat fotografiert ohne Distanz. Sie ist Teil dessen, was sie sich ansieht und mit der Kamera beobachtet.

„you left bags of heroin in my bathroom and my roommate found it. This is disgusting and i hope you realize the situation you have put jennifer and i in. I really have no tolerance for this type of behavior and i cant belive you would do that.“

(Horror Vacui, S. 130)

Diese Facebook Nachricht aus Theresa Martinats Buch „Horror Vacui“ findet sich relativ am Ende. Datum und Uhrzeit - 17.01.2011, 4.31 Uhr morgens - der via Facebook hinterlassenen Zeilen sollen hier dokumentarische Authentizität verbürgen. Einige Seiten später finden wir vor dem Abspann die Fotografie eines Handgelenks: Man erkennt horizontal einen Teil der Hautoberfläche des Unterarm durch den ein blutender Schnitt vertikal führt. Daneben befinden sich auf der Haut ein Stempel „home sweet home“ und Narben von älteren Verletzungen.

Wollen wir das sehen? Wollen wir wissen was dahinter steht? Was macht Martinat mit uns, wenn wir in ihren Tagebucheinträgen, persönlichen Emails und Facebooknachrichten blättern und lesen? Wollen wir die Fotos sehen? Wollen wir wissen, was zwischen Drogenkonsum, Nachtleben, Alltag und Liebe passiert? Oder wollen wir das grade nicht wissen, wollen wir, dass die Wahrheit, für die Fotografie doch stehen soll, hier eine Ausnahme macht und uns erlaubt, von gerade dieser Wahrheit abzusehen?

Vermutlich wollen wir doch, auch wenn wir uns dafür schämen. Fraglos ist uns die Intimsphäre der anderen wichtig; aber wie froh sind wir, dass wir uns vorab über einen Gesprächspartner via Google oder Facebook informieren können. Diese Scham ist nicht so alt; als 1987 vor nicht einmal drei Jahrzehnten mit der Volkszählung ein detaillierter staatlicher Blick in die private Welt der Bürger geworfen werden sollte, löste das einen Protest aus, der das Projekt durch eine Verfassungsklage zu Fall brachte: Zu groß schien die Diskrepanz zwischen dem behaupteten Nutzen und der befürchteten und möglichen Benutzung der gewonnenen Daten. In der Gegenwart der Post Privacy interessiert sich kaum noch jemand dafür, ob und wie diese alten Persönlichkeitsrechte geschützt werden können und sollen – vielleicht, weil wir alle an ihrer Verletzung teilhaben, indem wir uns mit Bildern, mit Kurznachrichten, mit Websites preisgeben und gegenseitig durchleuchten [4]. Die Bücher Theresa Martinats und die daraus extrahierten Arbeiten führen genau das vor Augen: Anhand ihres persönlichen Foto- und Internettagebuchs macht sie Reisen, Erlebnisse, Begegnungen, Freundschaften, sexuelle Vorlieben, Liebesbeziehungen und illegalisierten Drogenkonsum transparent. Es ist ein Blick in eine Innenwelt, und dieser Blick macht uns zu Yellow-Press Lesern, zu Privatdetektiven, zu Überwachern und Bestrafern, ungewollt, aber nicht unbedingt gegen unseren Willen.

Eine Frage drängt sich in der spurenlosen, digitalen Wirklichkeit auf: Woher wissen wir eigentlich, dass sich Theresa Martinat nicht alles ausgedacht hat? Woher wissen wir, dass das alles „echt“ ist und nicht konstruiert? Wir wissen es nicht.

Felix Hoffmann, Hauptkurator C/O Berlin

[1] „Horror Vacui“ ist in drei Kapitel gegliedert und beschreibt die Zeit zwischen Juli-Oktober 2010 in New York.

[2] Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert und entsteht in Berlin (Juli 2011), Israel (August 2011), New York (August-Oktober 2011) und Berlin (Oktober 2011-Februar 2012)

[3] Die Abb. in „Let me kiss you in the pouring rain“, S. 105

[4] Die Anfang 2013 stattgefunden Debatte um die Enthüllungen des ehemaligen US Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden, die zur sog. NSA Affäre führte, macht deutlich, wie gläsern jeder Bürger mittlerweile durch das Internet geworden ist.

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installation view, schlueterstrasse

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installation view, Universität der Künste Berlin

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unspecified I 2014 100 x 125 cm c-print framed in steel

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unspecified II 2014 100 x 125 cm c-print framed in steel

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unspecified III 2014 40 x 50 cm c-print framed in steel